Ein Trauerlied

Eine schwarze Taube ist die Nacht
... Du denkst so sanft an mich.

Ich weiß, dein Herz ist still,
Mein Name steht auf seinem Saum.

Die Leiden, die dir gehören,
Kommen zu mir.

Die Seligkeiten, die dich suchen,
Sammele ich unberührt.

So trage ich die Blüten deines Lebens
Weiter fort.

Und möchte doch mit dir stille stehn,
Zwei Zeiger auf dem Zifferblatt.

O, alle Küsse sollen schweigen
Auf beschienenen Lippen liebentlang.

Niemehr soll es früh werden,
Da man deine Jugend brach.

In deiner Schläfe
Starb ein Paradies.

Mögen sich die Traurigen
Die Sonne in den Tag malen.

Und die Trauernden
Schimmer auf ihre Wangen legen.

Im schwarzen Wolkenkelche
Steht die Mondknospe.
... Du denkst so sanft an mich.

Else Lasker-Schüler


"Und Trost ist nicht, da Du mein Trost gewesen"

 

Ein Stern verlischt wie ein Leben in der Menge

von Milliarden Menschen.

Und jeder Stern, jeder Mensch ist ein Universum.

Wenn er stirbt, stirbt alles. Und alles geht weiter.

 

Florian Gérard

Coroners Act 1962, Zeugenaussage
Aussage der Nachbarin Claire C. , wohnhaft im gleichen Haus, parterre


"Ich erinnere mich an den 1. Juli 2000. Ich kam um 17.30 Uhr nach Hause. Ich hatte den Fernseher eingeschaltet, aber habe nicht geschaut. Um etwa 17.40 Uhr hörte ich einen lauten Knall, der von außerhalb der Wohnung kam. Er kam von irgendwoher im Haus aber ich wußte nicht von wo. Ich schaltete den Fernseher aus und lauschte etwa fünf bis zehn Sekunden lang. Dann hörte ich Eimear N. um Hilfe rufen. Ich ging aus meiner Wohnung und sah Eimear die Treppen herunter kommen. Sie war außer sich. Sie fragte, ob ich über Erste Hilfe Kenntnisse verfüge, Florian, ihr Freund sei die Treppen heruntergefallen. Wir beide gingen sofort zu ihm. Eimear rief sofort den Krankenwagen über ihr Handy an.
Florian lag auf dem Rücken, seine Füße hingen über den Treppenabsatz und sein Kopf war zur Wand gedreht. Wir haben ihn nicht bewegt und Eimear begann, ihn zu beatmen. Auf der Treppe sitzend hielten wir beide seine Hände und dann ging ich nach unten um die Tür zu öffnen. Sein Körper hatte spastische Krämpfe während der ersten 30 Sekunden, die ich dort war und dann hörten sie auf. Seine Beine und Füße schienen sich zu bewegen.
Dann trafen die Rettungskräfte ein.
"

"Am 1.Juli 2000 etwa um 17.40 Uhr erhielt ich in der Tara Street Fire Station einen Notruf zum Grosvenor Square 50, Dublin 6. Bei unserer Ankunft sahen wir den Patienten auf dem ersten Treppenabsatz liegen. Er atmete nicht und er hatte keinen Puls. Wir gaben dem Patienten zwei Elektroschocks und trugen ihn in den Krankenwagen.“

Seamus R., Krankentransport-Helfer

 

Am 1. Juli 2000 brach Florian in seinem Haus in Dublin auf einer Treppe zusammen ohne noch einmal das Bewusstsein zu erlangen. Später wurde "sudden death" – plötzlicher und unerklärbarer Herzstillstand festgestellt. Eimear begleitete seine letzten Minuten, er durfte in ihren Armen sterben – ruhig und ohne Gegenwehr gegen dieses Schicksal, das ihn dorthin abrief, wohin wir ihm nicht, noch nicht, folgen können.
Der Anruf erreichte uns gegen 24.00. Es war unser Hochzeitstag, wir waren aus gewesen....
Nein, keine graue Wolke war am blauen Himmel zu sehen und dann verdunkelte sich unsere Welt für Monate. Mit Florian ging unser Licht, mit ihm ging unsere Freude, mit ihm ging Zukunft und ein Teil meines und unseres Lebens unwiederbringlich zu Ende.

„Mein Kind ist tot … jetzt werden nie mehr Blumen blühen“…

 

Brief an meinen gestorbenen Sohn

29.7.2000

Mein liebster Florian,
mein geliebter Sohn,

wie schreibt man Briefe an seinen toten Sohn? Wohin, Florian, soll ich diese Briefe richten?
Ich schreibe, weil ich eine Verbindung zu Dir brauche, sonst ersticke ich.. Ich schreibe Dir, weil ich  eine Kontinuität aufrechterhalten möchte... wir haben uns doch in den letzten Jahren so häufig geschrieben...Was sonst soll ich tun, als Dir zu schreiben?

Vor vier Wochen hast Du Dein und somit unser  Leben verlassen, bist Du in andere kosmische Gefilde eingetaucht, von denen wir noch nichts wissen, die wir nicht kennen.

Ich muss Dir nicht sagen, wie verwaist Du mich – zurückgelassen hast, wie sehr der Schmerz, die Verzweiflung in mir Einkehr halten, nur durch kurze Pausen überhaupt zu ertragen, in denen ich durchatme, eine Normalität suchend, die nicht mehr da ist. Vor mir liegen Scherben, sinnlos gewordene Bruchstücke eines Lebens....aber habe Dir versprochen, was ich mein Schicksal nenne, zu tragen– ohne den Sinn verstehen zu können.  Leben mit der Abwesenheit von Sinn, wie, mein Sohn, soll dies gehen?

Du warst mein Leben – „I AM YOU“, war der erste Satz, den ich nach der entsetzlichen Nachricht träumte....Bist Du zurückgekehrt zum Ursprung unser beider Leben? Du warst mir so viel, Florian: Du gabst meinem Leben als Mutter einen ganz besonderen Sinn und Inhalt, für Dich musste ich sorgen, für Dich musste ich da sein, Du hast mich gebraucht, Du warst der Glanz in meinem Leben, ein Lebensborn. Ich weiß nicht mehr wer ich  bin....
Bin ich noch Mutter?

Mit Dir konnte ich noch einmal zurückgewandern durch mein eigenes Leben, habe Kindheit und Jugend gespürt, Dich begleitet durch alle Phasen, durch Höhen und durch Tiefen.
Du warst mir Inspiration, wie Du mich auch Kummer und sogar Wut und Verzweiflung warst.
Mit Dir habe ich gelacht, geweint, gestritten, getanzt, philosophiert, wir haben Lebensplanungen entworfen, Visionen für Dich und für mich.... Wir waren Mutter und Sohn, im besten Sinne.... gemeinsam und jeder für sich, immer verbunden durch die Liebe zu einander. Ja, Florian, wir waren uns nah, wie Mutter und Sohn sich wohl nah sein können.
Und weil wir uns so nah waren, konnte ich Dich eines Tages ziehen lassen, Dir Flügel verleihen, wissend, dssß das Band zwischen uns fest und undurchtrennbar ist.

In der Ferne bliebst Du mir verbunden, ich habe so viele Tränen um Dich geweint, Dich schmerzlich vermisst, nie aber habe ich versucht, Dich zurückzuholen. Ich habe gespürt, wie gut und wie frei Dein Leben war, dort in Irland, diesem Land, dem ich Dich anvertrauen konnte....Ich spürte, wie sehr Du an den Aufgaben wachsen durftest und wolltest, die dies völlig neue Leben dort an Dich stellte und wie gut Deine  Entwicklung verlief.
Wir haben uns geschrieben, viel am Telefon gesprochen und eigentlich hast Du niemals aufgehört hier mit uns zu leben. Du warst  unser Sohn in Irland geworden, ja, so sprachen wir von Dir und jeder hörte den Stolz, der aus unserer Stimme sprach.


Du hast uns neue Welten eröffnet, irische Musik, irische Literatur, Du brachtest uns die Menschen nah und Du brachtest uns Eimear,  „your little princess“..
Hunderte Male haben wir über Euch gesprochen, Eure Zukunft vor unseren Augen gesehen.... Es gab in Gedanken bereits rothaarige irische Enkelkinder, lauter Mädchen, ein glückliches Leben auf dem Land, ein Haus mit vielen Vorhängen und dicken Teppichen....

Als Ihr beide jetzt hier bei uns wart, in diesen letzten glücklichen Tagen dieses Lebens, sprachen wir über Eure Hochzeit; als Ihr zurück wart, habt Ihr über Euren Tod gesprochen.
Hattest Du eine Ahnung, mein Kind? Eine ganz ferne, unbewusste Ahnung über das Kommende?

Musstest Du so leben, so schnell reifen, mein Florian, weil Dir nur so wenig Zeit blieb?
Musste unsere Beziehung so eng sein, weil wir nur 22 Jahre zur Verfügung hatten?

Wenn alles so ist, was hatte dies Schicksal dann für mich vorgesehen? Wie soll ich ein Leben leben, mit Deiner Abwesenheit, Deiner ewigen Abwesenheit?
Wer und was soll die Leere füllen, wie  soll ich diesen Schmerz aushalten, den ich beginne, in seinem Ausmaß zu spüren..... Ganz langsam erst, beginne ich zu begreifen.... die Tragweite, die Dimension... ganz langsam nur, Florian!

Ich stehe noch unter Schock, mein Sohn, ich fühle mich noch immer abgeschnitten von mir selbst... Ich agiere wie eine Marionette, funktioniere,  bin nicht ich selbst... Gibt es mich denn überhaupt noch? Ich suche noch nach der ersten Stufe der Treppe in eine Realität, die zu betreten ich unendliche Angst habe... so halte ich mich fest am Gefühl des Irrealen.....Du kannst nicht wirklich tot sein.... Irgend jemand oder irgend etwas wird mich erlösen und befreien und Du wirst zurückkehren und alles ist nur ein Spuk, ein böser, fürchterlicher Traum....

Lass es so sein, Florian, lass es doch bitte so sein.... komm‘ zurück, komm schnell zurück zu uns!

Deine Mom
....verzweifelt, zerstört, verstört, ohne Leben in sich.... vielleicht bin ich mit Dir gestorben, weiß es nur noch nicht.....

In Memoriam Florian

Good night sweet prince,
and flights of angels sing thee to thy rest!

William Shakespeare