Perlen in meiner Hand
Ich wandere weiter
gebückter
mit deinem Tod auf dem Rücken
Am Wegrand die Erfrischungen
dieser Welt

Den Menschen zugewandt
tausche ich fast alles ein
gegen Augenblicke der Liebe
Perlen in meiner Hand
gebe ich dem  Meer
nicht mehr zurück

Ch. Knöpfle-Widmer

 

 

Aufhebung

Sein Unglück
ausatmen können

tief ausatmen
so dass man wieder
einatmen kann

Und vielleicht auch sein Unglück
sagen können
in Worten
in wirklichen Worten
die zusammenhängen
und Sinn haben
und die man selbst noch
verstehen kann
und die vielleicht sogar
irgendwer sonst versteht
oder verstehen könnte

Und weinen können

Das wäre schon
fast wieder
Glück

Erich Fried

Gedanken im Jahr Sieben

Engel mit Trompete

„ Es ist, was es ist, sagt die Liebe" ... ist so weit reichend, so wahr, immer wieder neu, so schwer und muss  - wie der gelebte Augenblick neu errungen werden. Und wenn unser Herz überhaupt wieder liebend ausgreifen kann, ist das ein besonderes Geschenk. Das schätzen und lieben zu lernen, das „geblieben ist“  – vielleicht ist dies die wichtigste Erfahrung in meinem JAHR SIEBEN.

Der Jahreswechsel – bedeutungslos. Das Jahr hat längst begonnen – an dem Tag, an dem Florian vorausgegangen ist. Ich befinde mich im (Trauer)-Jahr SIEBEN:  Die Zahl 7 ist seit jeher eine magische Zahl. Die 7 Todsünden, die 7 Weltwunder und in 7 Tagen ist die Welt erschaffen worden. In der Astrologie bezieht sich die 7 auf den Lebensrhythmus: Alle 7 Jahre haben wir die Möglichkeit unser Leben neu zu ordnen und ihm eine neue Qualität und Richtung zu geben und durch veränderte äußere Situationen im Leben werden seelische  Bereiche frei, die nach neuen Fragen suchen. Sollten wir nicht längst gelernt haben, die Fragen zu lieben? Sie zu  lieben und wissen um die damit verbundene Tiefe, die uns näher ans Paradies führt. 

„Living in between"… Leben in der Zwischenwelt

Kürzlich hatte ich - im Gespräch mit Florian - einen Gedanken, den ich sehr "spannend" und bewegend finde. Ich habe ihn gefragt, warum ich mich so schlecht fühle im Moment, so verletzbar, so schnell zu kränken... und mich nicht "orten" kann, auch nicht in Bezug auf meine Trauer und mit einem Mal formte sich der Gedanke in mir:  "living in between"....und ich habe es mit "Leben in einer Zwischenwelt" übersetzt... Ich glaube, dass dies etwas sehr Wichtiges für mich ist:
Leben zwischen den Welten: ich gehöre nicht wirklich in die Welt des "normalen Lebens" - obwohl ich ein "normales Leben" führe. Ich fühle mich aber auch nicht mehr so ganz und gar als Teil des "Trauerlebens", obwohl ich auch ein Leben in und mit der Trauer führe... In beiden Leben bin ich nicht mit all meinen Sinnen, fühle mich oft weder hier noch dort richtig zugehörig... und lebe in einer Welt dazwischen... zerrissen und gespalten. Vielleicht doch kein neuer Gedanke? Ich werde ihn in Gedanken weiterspinnen... irgendwie habe ich das Gefühl, als würde Florian mir diese Sätze eingeben…  mir damit etwas sagen, seine Botschaften an mich? ...

Ich habe die Fragen - er die Antworten... so fühle ich mich in dieser Zwischenwelt.

Geh zu deinem Rendez-vous mit dem Licht
Ohne uns – ohne Angst –
Während wir das Geheimnis durchfurchen
Das du übersprangst!

Emily Dickinson

 

Was bleibt ist die Liebe; was bleibt, ist die Erinnerung, was bleibt ist die Sehnsucht. Was bleibt, ist die Erfahrung, dass alles weitergeht und doch nichts je wieder wird, wie es war… Manchmal die  Angst davor, dass noch lange nicht vernarbte Wunden wieder aufbrechen. Aber viel schlimmer ist die Tatsache, dass die Erinnerung zwar noch ganz deutlich ist, es aber wirklich nur Erinnerungen sind, die nicht erneuert werden können. Noch höre ich Florians Stimme ganz deutlich, doch habe ich Angst davor, sie mir eines Tages nicht mehr vergegenwärtigen zu können.

Ich lese weiterhin Gedichte – und bin dankbar für ihre Tiefe und Weisheit:

Die Liebe hat sich gewandelt:
Sie ist nun unendlich zart
und doch stark,
still
und dennoch voller Lebendigkeit,
fern,
aber in jedem Augenblick gegenwärtig,
sie ist geheimnisvoll
und doch ganz klar,
rein und frei
von allen Dingen dieser Welt.
Nun ist daheim
in der Geborgenheit des Herzens,
im Schutze der Erinnerungen:
unantastbar,
unbesiegbar,
unverlierbar.


Irmgard Erath

Eines der schönsten Gedichte, die ich in all den Jahren fand!
Ich erinnere mich, mit welchem inneren Schwung ich früher gelegentlich durchs Leben ging - mit wie viel Leichtigkeit und innerer Zuversicht. Das wird wohl nie mehr so sein.  Es ist schlicht unvorstellbar  - auch nicht gewünscht!
Nur eines wünsche ich mir: die tiefe Liebe weiter zu  Florian und zu meinen irdischen Lieben fühlen zu  dürfen und dies – vor allem, wenn ich an Florian denke - auch mit ruhiger Seele.


„This ist the first day of the rest of your life" – Dies ist der erste Tag vom Rest deines Leben

Ich glaube, dass Trauernde sehr viel eher nach diesem Prinzip leben. Das Wissen um die Endlichkeit des Lebens, die erlittene Erfahrung, die uns für immer verändert hat.. Denn sich dem Leben zu stellen, heißt eben auch, sich seinem Tod zu stellen und den Tod zu bejahen, heißt, die Vergänglichkeit seines Seins bewusst anzunehmen. Denn Sterben bedeutet immer, dass eine alte Ordnung stirbt und eine neue entsteht – und sei es nur das Nichts.
Nichts ist für die Ewigkeit. Einzig das Werden und Vergehen unterliegt dem Ewigkeitsprinzip. Unser Leben – ist leben auf Zeit, gestundete Zeit, in der es nicht immer leicht fällt, zu erkennen, ob wir Dinge selbst bestimmt ändern können oder ob wir hinnehmen müssen, weil wir sie eben nicht ändern können.

 

Berg der Trauer

Trauer ist wie die Besteigung eines hohen Berges. Wir stehen zunächst atemlos vor dieser Aufgabe, die uns so aussichtslos erscheint. Wie sollen wir auch nur die ersten Schritte tun. Wir haben kein Werkzeug, wir haben nicht als unsere Hände. Wir nehmen das, das am nahesten liegt: Sand und türmen ihn aufeinander --- sinnlos, er rinnt uns durch die Hände, der kleine Hügel, der entsteht, sinkt immer wieder in sich zusammen - sie ein Sinnbild für uns selbst. Nein, wir haben keinen Plan, niemand, der uns sagt, wie man den Berg der Trauer erklimmt. Wir haben nur das Wissen, dass  Tausende in diesem Moment vor der gleichen Aufgabe stehen, dass Millionen diese Berge bezwungen haben.

Es gibt keine Baumeister, keine Architekten, nichts Allgemeingültiges und das, was wir lesen, was man uns sagt, was wir hören - es scheint uns so fremd, so weit weg von dem fassungslosen Schmerz in dem wir gefangen sind... "Laßt mich alleine mit dieser Aufgabe" - dies waren meine Gedanken. Wenn ich nicht selbst einen Weg finde, werde ich hier am Fuße des Berges in meiner Trauer und meinem Leid verharren".
Der, nachdem all meine Sehnsucht schreit, kann seine Hand nicht ausstrecken, er ist nicht mehr. Die Hände, die mir gereicht werden, sie können mich nicht tragen, viel zu schwer bin ich, viel zu groß ist das, was mir widerfahren ist... Niemand, der wirklich ermessen kann, welche Aufgabe vor mir liegt.
Meine Besteigung des Berges der Trauer begann damit, Steine zu suchen: kleine Steine, große Steine, runde und eckige - und ich gab diesen Steinen Namen wie "Hoffnung", "Zuversicht", "Loyalität", "Liebe", "Verbundenheit", "Treue", "Glauben", "Freundschaft". Der letzte Stein, den ich bisher benannt habe, ist der Stein der "Zukunft".
Mit diesen Steinen habe ich begonnen, einen Weg zu legen - Stein für Stein unter meine Füße und diese Steine tragen. Ich weiß nicht, was geschieht, wenn ich um die nächste Biegung des Berges komme, was auf mich wartet - aber ich habe meine Besteigung begonnen und ich setze sie fort: Ich habe keine Hast und Eile mehr. Ich habe in den Jahren erfahren, dass die Besteigung des Berges der Trauer ein ganzes Leben braucht! Manchmal wird mir ein Stein geschenkt: die Steine der "Anteilnahme" des "Mitgefühls" der "Empathie" - dies sind große Steine - und sie fügen sich in die meinen ein und ebnen manch kleine Strecke, die ohne sie viel mühsamer geworden wäre.
Es gibt auch Steine, die mir in den Weg gelegt werden: Steine des "Unverständnisses", der "Missachtung", Steine der "Ungeduld", der "Ignoranz",und sie erschweren den Weg, denn ich muss sie aus den restlichen Steinen herausfiltern und sie an die zurückgeben, die sie mir in den Weg warfen. Es gibt auch den Stein der "Hilflosigkeit". Dies sind kleine Steine, die ich am Weg liegen lassen kann. Über sie falle ich nicht.
Lasst mir meinen Weg. Lasst Trauernden ihre Wege. Jeder muss seine Steine suchen, benennen und mit ihnen seinen ganz individuellen Pfad bauen.
Schenkt uns die kleinen Steine des "Mitgefühls", denn sie tragen uns ein Stück weiter und für sie sind wir dankbar.
(Gedanken am  Muttertag, Mai 2006)

 

Begegnung

Gabriele Gérard
Januar, 2007